Quellen zur Kolonialgeschichte 10

Georg Gräff, Andreas Eckl

„Die Überraschung war so groß, daß die Hereros nur ein paar Schüsse abgaben“ Kriegstagebuch aus Deutsch-Südwestafrika 1904-1905 von Leutnant Georg Gräff

Quellen zur Kolonialgeschichte, Band 10

Broschur, 15 x 21 cm, 173 Seiten,
4 Abbildungen, 
Bochum, Januar 2024, 
ISBN 978-3-939886-13-6

22,80 EUR

Aus dem Inhalt

Zum Bewusstsein der Gefahr bin ich erst gekommen, als der erste Verwundete, Schuß in den Oberschenkel, aufschrie und sehr stöhnte. Ein zorniges Zurufen von Franke: Halten Sie den Mund und legen sich hinter den Busch ließ ihn verstummen. Wenn einer getroffen ist, so soll er die Zähne aufeinanderbeißen und stille sein, denn durch das Klagen macht er höchstens noch andere etwas zaghafter in ihrem Handeln. Diese Instruktion hatte Franke vorher der Kompanie auch gesagt. Ich kroch schnell zu ihm hin und empfing vom mittlerweile herbeigeeilten Oberarzt Maaß seine Patronen, um sie in meinem Zuge zu verteilen.
Das Feuer der Hereros wurde nur lebhafter, wenn wir ihnen im Vorspringen unsere ganze Größe zeigten. Sonst fielen nur vereinzelt Schüsse. An einer 50 m vor der feindlichen Front liegenden Mulde ging Franke die ganze Kompanie ab, um sich von dem Zustand der Züge zu überzeugen, dann setzte er den Sturm an. Sprung auf, Marsch, Marsch ging es so schnell wie möglich den Hang hinauf in die feindliche Stellung, den Kerlen auf den Leib.
Leider hielten diese unseren Sturmlauf nicht aus sondern verließen vorher ihre Stellung, jedoch nicht zeitig genug, um alle zu entkommen. Gar mancher wurde jetzt auf der Flucht erschossen. Ein Herero kroch unter dem Schutze von Klippen und Busch an dem Steilabfall langsam hinunter. Ich schoß zuerst mit der Browning-Pistole. Jedoch das zog nicht. Ich nahm dann das Gewehr von dem Reiter neben mir und schoß dem Herero ins Kreuz. Wie eine angeschossene Katze vom Baum, so fiel er die Klippen hinunter.
Die erste feindliche Stellung hatten wir nach 1½ Stunden schon im Besitz. Wir lagen auf einer Höhe mit etwa 10 m Steilabfall nach Süden. Von hier übersah man eine etwa 300 m breite Schlucht, die jenseits wieder durch überhöhende rote Klippen begrenzt war. In dieser Schlucht stand eine große Menge Vieh, Ochsenwagen etc. der Hereros. Dieses war nun sicher in unserem Besitz. Jeden Versuch von den Hereros, die Kräle zu öffnen (es versuchten nämlich Weiber und Kinder, weil die Hereros sich sagten, auf diese schießen die Deutschen nicht) mußte der oder die Betreffende mit dem Tode büßen. In die Schlucht hineingehen konnten wir nicht, weil wir noch zu schwach waren und nicht wussten, wie das Gefecht auf unserem linken Flügel stand. Wir mußten hier sehr lange liegen. Ganz vereinzelt fielen Schüsse von vorn und von der Seite.
Es war still auf dem Gefechtsfelde geworden. Der Grund lag in der beiderseitigen Unkenntnis über die Absichten und die Stärken. Die Sonne brannte eklig auf das nackte Gestein. Es war 1 Uhr Mittags. Freiwillige aus der Schützenlinie gingen auf die Wassersuche und fanden auch einen Tümpel mit allerdings etwas riechendem Wasser. Das war egal, es war wenigstens etwas Feuchtigkeit. Diese Wasserholer setzten sich aber bei jedem Gang den feindlichen Kugeln aus, zum Glück wurde aber niemand getroffen. Sehr entfernt hörten wir Gewehrschüsse. Etwa 2000 m links von uns sahen wir Schützen. Sind das eigene oder feindliche? Wir konnten es nicht erkennen!
Wo war die 4. Komp.? Zur Klärung dieser Frage stieg Franke auf sein Pferd und ritt im feindlichen Feuer zu v. Estorff. Unsere Stellung erhielt noch eine kleine Verstärkung dadurch, daß es dem Lt. Leutenegger gelang, mit dem Gebirgsgeschütz in die Schützenlinie zu kommen. Wenn wir zu sehr durch feindliches Feuer belästigt wurden, schoß Leutenegger in der Längsrichtung, wir legten uns dabei ganz glatt auf den Boden, über unsere Köpfe in die vermeintliche feindliche Stellung.
In meinem Zuge hatte ich einen Kriegsfreiwilligen, den Oberlandmesser Jürgens, der trotz seiner hohen Beamtenstellung den Krieg als Reiter mitmachte. Er war infolge eines großen Kopfschmisses als Student militärfrei geworden. Während ich nun den Feind beobachtete, höre ich neben mir schnarchen. Es war Herr Jürgens. Ich weckte ihn auch nicht und sicherte nur seinen müden Leib dadurch, daß ich ein paar Steine als Seiten- und Front-Schutz um ihn herum legen ließ.
Gegen 4 Uhr etwa sah ich unseren rechten Flügel unter Oblt. Hannemann zurückgehen. Den Grund konnte ich nicht ersehen. Endlich nach 1 Stunde hörte ich, daß ich auch mit dem Zuge hätte zurückgehen sollen, um mit Hannemann dem bedrohten rechten Flügel zu Hilfe zu kommen. Die Hereros hatten eine Umgehung gemacht und mit Übermacht die 4. Komp. angegriffen. Es waren gefallen schon Oblt. Schultze (tot), Oblt. Frh. v. Schönau-Wehr u. Lt. Stülpnagel schwer verwundet und 6 Mann.
Auf diese Nachricht ging ich sofort mit meinem Zuge aus der Stellung, um auf den bedrohten Flügel zu eilen. In einer kleinen Mulde machte ich eine Atempause, da kam Franke im Galopp heran und ruft: Um Gottes Willen, was ist los, warum gehen Sie zurück? Er vermutete, ich wäre auch hier von den Hereros mit Übermacht angegriffen worden und hätte meine Stellung nicht mehr halten können. Ich klärte ihn schnell über meinen Entschluss auf. Erleichtert atmete Franke auf und erzählte, daß die Hereros durch Hannemann auf dem rechten Flügel zurückgeschlagen worden seien. Dann gab er mir folgenden Befehl: „Wir stürmen jetzt, koste es, was es wolle. Sie gehen mit ihrem Zuge in die Schlucht und von dort unter Mitnahme von dem Vieh gegen die Wasserstelle vor und stürmen die rote Klippe. Haben Sie Gottvertrauen.“
Über uns her pfiffen die feindlichen Kugeln, jetzt gegen Abend wieder an Lebhaftigkeit zunehmend. Ich ging wieder in meine erste Stellung und wartete auf starkes Geschützfeuer als verabredetes Zeichen für den allgemeinen Sturm. Etwa um 5½ N. ging der Rummel los. In seitlichem und frontalem feindlichem Feuer kletterte ich den ersten Steilabfall herab und ging auf die bezeichnete Stelle los. Die Kräle ließ ich alle öffnen und gleichfalls nach der Mitte der Sturmstellung zutreiben. Diese lebende Wand war für mich auch ein Kugelfang für das Feuer von vorn. Man achtete gar nicht mehr auf die herumschwirrenden Geschosse. Die Hereros treffen ja auch nicht mehr. Der Sturm der deutschen Abteilungen lässt ihnen keine Ruhe zum Schuß mehr. Mit lautem Hurrah! ging es in die feindliche Hauptstellung hinein.
Die Wasserstelle war nach 10-stündigem Kampf unter Verlust von 4 Off. und 7 Mann unser. Erbeutet waren dadurch 2000 Stück Großvieh, 500 Stück Kleinvieh und vieles Hausgerät der Hereros.