Quellen zur Kolonialgeschichte 9

Rainer Tröndle

Briefe von Else und Christian Spellmeyer aus !Gochas und Gibeon, Deutsch-Südwestafrika, 1899 – 1913

Quellen zur Kolonialgeschichte, Band 9

Broschur, 15 x 21 cm, 343 Seiten,
2 Abbildungen, 
Bochum, Januar  2023, 
ISBN 978-3-939886-12-9

29,80 EUR

Aus der Einleitung

Im Sommer 1893 wurde Christian Spellmeyer nach Beendigung seines Wehrdienstes ins Seminar aufgenommen. Sechs Jahre dauerte die Ausbil­dung, dann wurde er nach Deutsch-Südwestafrika ausgesandt. Noch vor seiner Ab­reise nach Afrika hatte er das Glück, die ihm zugedachte Braut Else Lange und deren Familie kennenzulernen. Kurze Zeit nach der Verlobung verließ Chri­stian die Heimat zu seinem ersten Einsatz in Afrika. Zwei lange Jahre danach folgte Else, nachdem sie bei der Rheinischen Mission eine Einweisung in ihr zukünftiges Leben als Missionarin erhalten hatte. In Afrika wurde dann geheiratet. Zuerst in Otjimbingwe und Okombahe eingesetzt, wurde Christian Spellmeyer zusammen mit mit seiner Frau Else für die Nama-Missionierung bestimmt, wo sie dann von Oktober 1901 bis Ostern 1903 in ǃGochas und schließlich von 1903 bis zur Pensionierung 1939 in Gibeon ihren Dienst verrichteten. [….] Es dauerte nicht lange, dann stellte sich Nachwuchs ein. Das brachte noch mehr Leben und vor allem Arbeit in das Missionarshaus. Sechs Kindern schenkte Else im Lauf von zehn Jahren das Leben unter teils schwierigen Um­ständen. Dabei hatten Christian und Else das große und seltene Glück, dass alle ihre Kinder trotz mancher schweren Erkrankung am Leben blieben und wohl gerieten. […] Im Leben einer Gemeinde kam der Missionarsfamilie eine bedeutende Rolle zu. Davon profitierten allerdings nur diejenigen, die an einem größeren Ort wohnten, der auch eine weiße Bevölkerung hatte. Wer auf einsamer Station die lokale Bevölkerung betreute, zog wenig Nutzen daraus. Hier waren der Missionar und seine Frau zwar auch die geachteten Lehrer, aber außer Arbeit bot das Dasein hier wenig. Daher waren die jährlichen Kon­ferenzen für viele eine willkommene Gelegenheit zur Aussprache und zum Erfahrungsaustausch und zur Erbauung. Die Beschwernisse der Reise zum alljährlich wechselnden Konferenzort wurden dafür gerne ertragen. Span­nungsfrei und nur von christlicher Nächstenliebe geprägt war das Miteinander der Missionarsfrauen (und der Missionare) allerdings nicht. Das galt ganz be­sonders in Krisenzeiten. […] 

Gerade an den bedeutenderen Orten hatten die Missionare auch Umgang mit den maßgebenden Beamten der Verwaltung und den Offizieren der Schutztruppe. In diesem Zusammenhang finden sich in den Briefen von Else und Christian Spellmeyer einige Notizen und Bemerkungen zu Meinungen und Verhaltensweisen gegenüber den kriegführenden Nama und Herero, die Einblick in die Seelenlage der Deutschen geben. Leider nur zu oft hatten die Missionare wenig Verständnis für die Sorgen und Nöte der afrikanischen Be­völkerung und betrachteten die Niederschlagung des ‚Aufstandes‘ als ein göttliches Strafgericht. Bedingt war dies einmal durch die Grundeinstellung, dass nicht nur der himmlischen, sondern auch der weltlichen Obrigkeit zu ge­horchen sei, aber ebenfalls durch die prägenden lebensbedrohenden Erfahrun­gen, die sie selbst machen mussten. Dabei waren sie beim Nama-Krieg, im Gegensatz zur zum Herero-Krieg, ebenfalls Zielscheibe des Hasses der lokalen Bevölkerung geworden. Hatten Herero die Missionare noch ganz bewusst geschont, so scheuten Nama zumindest in einem Fall nicht davor zurück, den wehrlosen Missionar Ludwig Holzapfel, eingesetzt in Rietmond, vor den entsetzten Augen seiner Frau und seiner Kindern kaltblütig zu ermorden (vgl. Briefe von Christian Spellmeyer vom 12.10.1904 und von Else Spellmeyer vom 03.11.1904).

Auszug aus dem Inhalt

09.06.1905 Christian S. an Schwiegereltern und Schwägerin Mathilde
Im Januar war ich, wie Ihr bereits wisst, kurz vor Berseba mit der Abteilung Oberst Deimling, kehrte mit Schw. Holzapfel, die mir begegnete, nach Gibeon zurück. Ohne uns in Gibeon aufzuhalten, fuhren wir mit demselben Wagen nach Rietmond weiter. Schw. Holzapfel wollte gern das Grab Ihres Mannes sehen, d.h. wir mussten es erst suchen. Es war bis dahin noch nicht gefunden worden. Der Herr ließ es mir mit Hilfe einiger Soldaten von Hauptmann von Kleist in Rietmond gelingen, die Leiche zu finden. Sie war doch von den Hottentotten begraben worden, die einzige.
Ende März wollte ich nach Windhoek, um mit den Brüdern oben über die Missionsarbeit usw. sprechen zu können. Ich kam nur bis Kub, wo mich Umstände wie die Anwesenheit des Hauptquartiers in Gibeon, Gerüchte, wonach Samuel Isaak mit seinem Anhang kriegsmüde sei und in der Gegend von Goamus sich aufhalte, veranlassten nach Gibeon umzukehren. Das Hauptquartier begegnete mir auf dem Wege nach Kub im Packrianfluss. Packrian ist eine gefährliche Ecke, wo die Hottentotten die Vorüberziehenden gern zu überfallen belieben. Es waren dort an drei verschiedenen Stellen sieben Grabhügel aufgeworfen, ein jedes zierte ein einfaches Kreuz. Es waren alles Soldaten, die in Patrouillengefechten gefallen waren. Am 3. Mai kam ich glücklich ganz überraschend zur großen Freude der lieben Meinen wieder in Gibeon an.
Am selben Nachmittage ging’s dann zu der schon erwähnten Hochzeit, wo wir, Else und ich, uns sehr gütlich getan haben Wir waren nur nachmittags da, als alles noch recht ordentlich zuging. Dann machte ich am anderen Tage meinen Besuch bei Sr. Exc. von Trotha. Mit dem kam ich gleich überein, d.h.es war sein Wunsch, dass ich mich doch in den nächsten Tagen einer Truppe, die nach Goamus gehen sollte, anschließen möchte. Proklamation war ja schon veröffentlicht, womöglich auch schon in den Händen der Leute. Aber dies hatte spürbar keinen Erfolg. So sollte ich mitgehen, um gegebenenfalls mit Samuel Isaak zu reden. Das konnte leider nicht geschehen, weil wir in Goamus keinen einzigen Hottentotten antrafen. Man verfolgte dann deren Spuren, die überall massenhaft zu sehen waren. In Mu-Gorob war die Spitze auf die Fliehenden gestoßen. Es begann natürlich das unvermeidliche Schießen, man hatte vergessen, was man wollte. Alle Hottentotten waren auch geflohen, ohne einen Schuss abgegeben zu haben. Aber unsere Truppe hatte wieder einmal, wie sich Leutnant von Arnim ausdrückte, den Gefechtswahnsinn im Kopfe und den Verstand im ….sch. Zu meiner Freude stellten sich während des sehr kurzen Gefechtes einige 25 Frauen und Kinder, darunter auch Gibeoner Gemeindeglieder. Ich konnte manches mit ihnen besprechen. Ich denke meine Reise ins Feld wird dazu beigetragen haben, dass die Hottentotten, wenigstens die besseren von den Witboois, wieder Vertrauen fassen. – Deutschland wird wohl eine Note nach England schicken. Entweder England muss entwaffnen oder es wird auf englischem Gebiet operiert. Unsere Leute wohnen weit von Lintita (engl.). Alle größeren Plätze bleiben besetzt: Rietmond, ǃGochas, !Numib usw. In den Bersebaern hatte vor kurzem ein anderer Stuurmann Unruhe hervor-gerufen. Doch haben sie alles überstanden. Der Kapitän und seine Großleute stehen fester als zuvor. Mit Missionar Oswald in Togo, wo die 120 Witbooi sind, stehe ich in regem Briefwechsel. Es ist rührend, von jenen Witboois etwas zu hören.

[…]

01.08.1905.  Else S. an Eltern u. Geschwister

Etwas Besonderes hat sich hier in den letzten vier Wochen nicht zugetragen. Das Neueste ist, dass das Hauptquartier nach Gibeon verlegt wird. General v. Trotha war schon vier bis fünf Wochen hier und ging nach Keetmanshoop. Alles staunt. Trotha soll von hier aus gegen Hendrik Witbooi operieren, der sich wieder am Hutup festgesetzt hat. Major von Estorff sitzt in ǃGochas fest und soll nach Möglichkeit versuchen zu verhindern, dass Hendrik nach dem Nosob zurückkehrt, wo er nicht zu fassen ist. Oberleutnant von Arnim, der jetzt zu Major von Estorffs Stab gehört, ist hier für einige Zeit zur Kur im Lazarett. Der meinte, man würde Hendrik nie in die Hände bekommen. Ich glaube, dass man sich im Hauptquartier selbst Sorge macht. Welch ein Fehler, gleich am Anfang den kriegskundigen und bewährten Leutwein abzuberufen. Wirft man ihm auch manchen Fehler vor, so würden andere an seiner Stelle auch erst haben lernen müssen. Wir finden es nicht recht, dass man einen Mann wie Estorff, der landeskundig und schon in früheren Kriegen bewährt ist, nicht be­fördert und einfach außer Aktion setzt. Immer wieder kommen neue unkun­dige Offiziere und machen Fehler, die nicht mehr gemacht werden dürften. Oberl. v. Arnim, der etwas sehr Ironisches an sich hat, – er ist auch schon Jahre im Lande – sagte, er hätte es so oft gesagt, wir müssen die Wasserstellen besetzen und das Vieh gut bewachen, hätte aber nur Kopfschütteln zur Antwort bekommen. Er stieß den Seufzer aus: „Wenn man doch Hendrik Witbooi zum Chef unseres Generalstabes machte. Sie sollten mal sehen, wie schnell der mit den Unruhen fertig würde.“ ǃGochas soll sich sehr verändert haben. Aus der kleinen Militärstation ist eine Festung von 100 m entstanden. Major v. Estorff wohnt in unserm Missionshaus. Er hat die Essstube inne, die Wohnstube wäre hübsch gestrichen und zu einer kleinen Offiziersmesse eingerichtet worden. Alles Bauholz, für die Kirche bestimmt, ist zum Bau der Militärstation verwandt worden, nur die Kanzel steht noch hier in der Kiste. In Gibeon wird’s aber lebendig werden, wenn das Hauptquartier kommt. Allein 100 Kolonnenwagen gehören dazu. – Doch, bitte, lieber Vater, schreibe nur nichts über all diese Dinge in die Zeitung. Vorsicht ist ja uns Missionsleuten vor allen Dingen gebo­ten. Freitag vor acht Tagen wurden 5 Ochsenwagen von den Hottentotten überfallen, geplündert und verbrannt. Ein Treiber wurde erschossen, ein Soldat, schwer verwundet, konnte sich noch verbergen, die übrigen flüchteten, nachdem ein Unteroffizier einen Wagen, der Munition geladen hatte, noch in Brand setzen konnte. Der verwundete Soldat erzählte hier, wie sich die Hotten­totten in die schönen neuen an 30 Militär-Bekleidungsmonturen geworfen und alle geistigen Getränke ausgetrunken hätten. Der Überfall fand eine Reitstunde von Gibeon statt. Leider kam unser Militär wieder zu spät. Die Eingeborenen hatten genug Zeit gehabt, sich rechtzeitig zu entfernen. Am nächsten Tag ritt eine Patrouille auf dem Wege nach Rietmond ab, um die abgeschnittene Tele­graphenleitung zu flicken (das ist eine andere Richtung). Sie war kaum eine Stunde fort, als ein Reiter die Meldung brachte, die Patrouille sei in Zwartdoorn auf Hottentotten gestoßen. Bald darauf stob eine Abteilung Soldaten davon, doch hatten es die Eingeborenen vorgezogen, sich schleunigst davon zu machen. Sie im Dunkel der Nacht zu verfolgen, wäre nicht möglich gewesen. Uns war es eine Beruhigung, als der Bezirksamtmann noch am Abend mit den Soldaten zurückkam. Denn die andere Abteilung war auch noch nicht zurück. Die leise Sorge, ein Überfall könne bevorstehen, beschlich alle. Ich hatte die nötigsten Sachen schon wieder in einen Sack gepackt und warme Tücher auf die Kinderbetten bereitgehängt. Nun – solche Sachen tragen immer wieder dazu bei, uns dankbar zu machen für alles Gute, was wir genießen. Doch nun soll es mit der Plauderei über die Kriegsfolgen ein Ende haben.

Leider kommt auch diesmal kein Bild mit. Der kleine Willy ist zu quirlig um stillzuhalten. Die durchbrechenden Augenzähne tragen Schuld an seiner Unzufriedenheit. Er ist im Übrigen gar zu drollig in seinem Interesse für Bilderbücher und wenn er mit einem kleinen Holzkistchen als „Hottewagen“ durch die Stuben läuft, der Hans hinterdrein. Am liebsten verschwinden dann beide in der aufrechtstehenden Schaukelbadewanne und decken sich mit einem Tuche zu. Wasser ist natürlich nicht drin, denn das ist dem Willy jetzt etwas sehr Unangenehmes. Hans sucht sich mancherlei Beschäftigung. Als Chr. ihn neulich fragte: „Was hast du denn heute gemacht?“, antwortete er: „Hans hat arbeitet“. Neulich fragte er auch mal: „Mama, Großmutter Cakes Hottetotte genehmen.“ Er hat nämlich gehört, dass die Kühe und Bockies genommen sind, und es nun keine Milch mehr gibt. Ich habe dann am Sonnabend statt eines Kuchens einmal „Plätzchen“ gebacken. Es ist wirklich ein Gottesge­schenk, dass unsere Hühner dieses Jahr so fleißig Eier legen. Sie haben selbst während der kalten Zeit damit fortgefahren. Die Witterung war aber auch recht günstig. Wir hatten nachts milde Kälte, anhaltend. Die krassen Temperaturum­schläge der vorigen Jahre traten gar nicht ein. Wir haben nur sechs Hühner, einen Haushahn und noch zwei Schlachthähne. Wir müssen dieses Jahr fleißig Glucken setzen, damit wir wenigstens 15 bis 20 Legehühner haben. Hoffentlich bleiben unsere Hühner gesund. Unter Br. Bergers Hühnern, die nachts in einer engen Kiste kampieren mussten, ist nämlich Diphtheritis ausgebrochen, sehr ansteckend. Hier am Platze sind bereits viele Hühner krepiert.

Im Gärtchen unter einer Matte geht der erste Samen auf. Er wird langsam hochkommen, da wir den Deckel nicht vom Mistbeet nehmen dürfen, ehe nicht die Pflänzchen etwas kräftiger geworden sind. Hunderte von Spatzen sitzen bereit, jedes grüne Hälmchen abzuknipsen. Heute hat Chr. noch Mohr­rüben, Erbsen und Bohnen gesät. Ob sie etwas tragen werden?! Zwei Beete sollen mit Korn bestellt werden. Nicht um Korn, sondern um Stroh zu ernten, damit ich Strohsäcke für die Kinder füllen kann. Nächsten Monat werden Kerne zu Wassermelonen, Spanspeck[2], Pampunen usw. gesteckt. Ach, wie wollen wir dem lieben Gott danken, wenn er etwas wachsen lässt. Voriges Jahr war das Gärtchen bestellt und die junge Saat kam gerade aus der Erde, als der Aufstand ausbrach und wir auf die Feste mussten.

Gestern Abend besuchte uns der Proviantverwalter für die Gibeoner Bürgerschaft wieder, Herr Mauruschat. Er ist ein ganzer Konfusionarius und Krakehler. Manchmal möchte man lachen und dann wieder muss man sich ärgern. Man bekommt immer Streit mit ihm, wenn man noch so friedlich gesinnt ist. Wie hat er räsoniert über die Mk. 90.000.-, die Herr Missionar Berger sich im Laufe von sieben Jahren hier im Lande erworben hat! Jetzt hat sich’s zugetragen, dass Herr Berger ein Schwein geschlachtet hat und obigem Herrn 1,5 Pfund als Aufmerksamkeit schickte. Ich möchte wetten, dass die beiden noch Freunde werden. Ihr aber könnt mal sehen, wie Herr Berger es versteht, sich Freunde mit dem ungerechten Mammon zu machen. Es ist ganz traurig mit ihm. Er geht im Geschäft des Wirtschaftsvereines ganz auf und macht sein Profitchen nebenbei. Behaltet dies bitte für Euch, äußert auch nichts gegen Hegners oder Judts. Nach der Sache, die mit Schw. Holzapfel dazwi­schentrat, nennen wir gegen sie den Namen nicht. Verzeiht, dass ich Euch dies schreibe, aber es tut einem auch wohl, dergleichen vorm Herzen zu sprechen. Chr. und ich besprachen die Sache heute Morgen beim Kaffeetisch. Wir bekamen eine ordentliche Sehnsucht, einmal wieder unter Menschen zu sein, die uns verstehen und liebhaben, zu Euch Lieben. Und doch, sagten wir uns, haben wir dem lieben Gott so viel zu danken. Wenn wir beide mal nicht glücklich, zusammenlebten oder kranke Kinder hätten! Es ist besser, statt so viel über seinen Nächsten zu klagen, zu unserm Gott über ihn zu sprechen. Damit ist dem lieben Nächsten und einem selbst am meisten gedient. Wie arm sind die Menschen, die nichts Besseres kennen als die Dinge dieser Erde