Trotha-Album

Basta! Ein kräftiges Wort, ein Machtwort, ein Wort, das ein unwiderrufliches Ende markiert. Basta!, mit Bleistift ins Papier seines Tagebuches gedrückt mit fester Hand und mit Ausrufezeichen versehen: „gewaschen allen Staub von Afrika von Leib und Seele. Basta!“ Mit diesen Worten endet der letzte Tagebucheintrag Lothar von Trothas auf südwestafrikanischem Boden, geschrieben am 17.11.1905, am Ende einer eineinhalbjährigen Episode seines Lebens, deren Verlauf und Ausgang er sich mit Sicherheit ganz anders vorgestellt hatte. Basta! Am Ende der südwestafrikanischen Tagebuchnotate steht ein Paukenschlag. Fraglos tendierte Trotha zu einer gewissen Theatralik und bediente sich gerne theatralischer Mittel und bisweilen auch Worte. Man mag sich an den „Theater-General“ erinnert fühlen, den Victor Franke ihm vorhält. Einen „Theatersieg“ nannte die Leipziger Volkszeitung (Nr. 191, 18.08.1904, S. 2) den ‚Sieg‘ der deutschen Schutztruppe nach der Siegesmeldung Trothas im Zusammenhang mit den Kämpfen vom 11.8.1904. Man denke auch an die Inszenierung der Proklamation an das Volk der OvaHerero, zu der Ritter von Epp am 3.10.1904 in seinem Tagebuch vermerkt: „Theatralische Erhängung v. 2 gefangenen Herero“.

Mit Basta! zieht Trotha einen dicken Schlussstrich unter seine Zeit und sein Wirken in Deutsch-Südwestafrika. Er ist fertig mit der Kolonie und den Kriegen dort: „geschlafen, gewaschen allen Staub von Afrika von Leib und Seele. Basta!“ Und wirklich, von diesem Tag an, dem 17.11.1905, und während der ganzen Dauer der Schiffsreise nach Hamburg bis zum 14. Dezember 1905, gibt es im Tagebuch nur noch sehr sporadische, nichtssagende Einträge, meist nur das Wetter betreffend. Trotha zieht keine Bilanz, kein Blick geht mehr zurück auf seine Zeit und die Kriege in Deutsch-Südwestafrika, und er hätte doch so viel Muse dazu an Bord gehabt. Aber nein: Basta!

„Im Reichstage über seine südwestafrikanischen Erfahrungen zu sprechen, hat Herr General von Trotha wenig Neigung“ lässt uns ein Reporter des „Hamburgischer Correspondent“ bei Ankunft Trothas in Hamburg wissen. Und er beendet seinen Beitrag mit dem vielsagenden Ende: „Eine telegraphische Anordnung des Kaisers wegen des Empfanges in Berlin wurde noch erwartet.“ Und genau das ist der Punkt: Sie lag nicht vor. Dem Kaiser war offenbar an einem Empfang Trothas nicht gelegen. Und damit hätte er in jedem Falle auch Trotha eine peinliche Begegnung erspart. Trotha war fertig mit Deutsch-Südwestafrika. Basta! Und doch ist dieses Basta, das als Schlussstrich gedacht war, nicht das Ende seiner Auseinandersetzung und Beschäftigung mit den Kriegen in der Kolonie. Ein Geist sei eine unerledigte Angelegenheit, sagt Salman Rushdie in einem seiner Werke. Diese Kriege in Südwestafrika, sie waren für Trotha unfinished business, als er die Kolonie verließ. Und sie wurden ihm zum Geist. Gut zwei Jahre nach seiner Rückkehr fabrizierte Trotha seinem Basta! zum Trotz eine Bildermappe mit 206 fotografischen Aufnahmen, betitelt als »Bilder aus dem Krieg in Südwestafrika von Generalleutnant v. Trotha«. Neben dem Tagebuch ist dies die zweite bedeutsame Quelle aus seiner Zeit als zeitweiser Gouverneur und Oberkommandierender der Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika von Mai 1904 bis November 1905. Das (Aus-)Lesen und Einordnen dieser Bilder und ihrer Erzählung bildet Gegenstand und Thema von Band 2: „Das Fotoalbum“ (Andreas Eckl, Matthias Häussler, Lothar von Trotha in Deutsch-Südwestafrika (1904/05). Berlin: de Gruyter, 2024).

Die Bildermappe Trothas umfasst insgesamt 206 Aufnahmen. Das Format der schwarz-weißen Abzüge variiert, in den allermeisten Fällen liegt es im Bereich von 100-110 mm x 70-80 mm. Der Großteil der Bilder ist im Querformat aufgenommen, insgesamt nur elf Aufnahmen liegen im Hochformat vor. Das Größenformat der Bilder Trothas dürfte sich mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem bei der Entwicklung zur Verfügung stehenden Fotopapier als Trägermaterial ergeben haben und lässt nicht unbedingt auf eine bewusste Modifikation der Bildergröße im Zuge der Entwicklung je nach Bedeutung der Aufnahmen oder des fotografierten Motivs schließen, zumal Trotha zwar über eine Kamera, aber offenbar nicht über die Ausrüstung zur Entwicklung der Filme verfügte, die er deshalb, wie wir aus seinem Tagebuch wissen, durch Dritte noch während seines Aufenthaltes in DSWA entwickeln ließ. Die letzten Aufnahmen, vermutlich im Mindesten aber jene, die er seit dem „Marsch nach Lüderitzbucht“ und dann an Bord des Dampfers „Prinzregent“ auf der Rückreise nach Hamburg gemacht hatte, dürfte Trotha erst nach seiner Rückkehr zur Entwicklung gegeben haben. 

Über die Fertigung der Bildermappe ist nichts bekannt. Tagebücher Trothas aus der Zeit nach 1905 sind uns nicht bekannt, so dass wir aus anderen Quellen nichts über den Akt der Bilderbuchfertigung wissen. Die 206 Aufnahmen der Mappe sind nicht als Einzelbilder überliefert, sondern als Teil einer Bildermappe, die Trotha nach seiner Rückkehr in mindestens fünf Exemplaren angefertigt und offenbar an ehemalige Weggefährten verschenkt hat. Eine Mappe befindet sich im Besitz der Sam Cohen Library in Swakopmund, Namibia. Eine zweite Bildermappe befindet sich im Tsumeb Museum, Namibia, eine dritte im Militärarchiv Freiburg im Nachlass von Paul von Lettow-Vorbeck, der zur Zeit der Kriege als Adjutant des Hauptquartiers in Deutsch-Südwestafrika tätig war. Eine vierte befindet sich in meinem Privatbesitz, eine fünfte ist in unbekannter Sammlerhand und nur in Form eines Faksimiles zugänglich. Einzelne, aufgeklebte und dann ausgeschnittene Bilder des Albums befinden sich zudem auch noch im Familienarchiv von Trotha, so dass es wenigstens eine sechste Mappe gegeben hat, die Trotha wohl für sich selbst gefertigt hatte. Alle fünf bislang bekannt gewordenen Alben unterscheiden sich in Inhalt und Gestaltung nur in Nuancen.

Anhand der Korrespondenz von Tagebuch und Bilderbuch können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass es Trotha selbst war, der zumindest einen Großteil der »Bilder aus dem Krieg in Südwestafrika« selbst aufgenommen hat. Für viele Aufnahmen ergibt sich das aus Anmerkungen und Hinweisen zur Aufnahme aus dem Tagebuch, die in den Annotationen zu den entsprechenden Bildern angeführt sind. Alle Aufnahmen sind dem unmittelbaren Umfeld von Trotha zuzuordnen, zudem stimmen alle Aufnahmen mit den Stationen seines jeweiligen Aufenthaltes überein, wie er sich aus dem Tagebuch rekonstruieren lässt.

Die 206 Fotos sind einseitig verteilt auf 35 Tafeln aus schwarzen Kartonagen. Die einzelnen Fotoabzüge sind jedoch nicht direkt auf diese Tafeln als Träger geklebt, sondern auf gedruckte Träger aus Papier, die geringfügig größer sind als die Fotoabzüge und so vor allem am unteren Rand Platz bieten für eine maschinenschriftliche Legende in einfachem, schwarzem Druckbild. In aller Regel hat jede einzelne Aufnahme eine eigene Bildlegende, auf wenigen Tafeln ist die Legende summarisch für alle Bilder der Tafeln als separat aufgeklebtes, bedrucktes kleines Papierschildchen angebracht. Die 35 Tafeln des Albums sind nicht miteinander verbunden und nichts lässt darauf schließen, dass sie es ursprünglich waren. Jedoch sind die einzelnen Blätter mit arabischen Ziffern durchnummeriert von 1 bis 35 und jeweils mit einer Überschrift versehen, beide in maschinenschriftlichem Golddruck. Die Nummerierung im Original erfolgt auf Basis der Tafeln und nicht auf Basis der sich in der Regel über mehrere Tafeln erstreckenden Kapitel. Die einzelnen Kapitel (hier fett markiert, mit hinzugefügter Kapitelnummer in Klammern) und mit Titel (mit Anzahl der Tafeln, Seitennummer und Fotoanzahl in Klammern] lauten:

(1) Von Swakopmund in das Hereroland (eine Tafel, S. 1, vier Bilder), (2) Hererofeldzug (eine Tafel, S. 2, acht Bilder), (3) Waterberg – Hamakari (eine Tafel, S. 3, fünf Bilder), (4) Otjosondu (eine Tafel, S. 4, vier Bilder), (5) Windhuk (3 Tafeln, S. 5-7, 21 Bilder), (6) Hauptquartier (3 Tafeln, S. 8-10, 21 Bilder), (7) Hauptquartier auf dem Marsch (2 Tafeln S. 11-12, 13 Bilder), (8) Kub und Gibeon am Fischfluß (3 Tafeln, S. 13-15, 15 Bilder), (9) Keetmanshoop (3 Tafeln, S. 16-18, 20 Bilder), (10) Pferdebilder (3 Tafeln, S. 19-21, 18 Bilder), (11) Große Brukaros (eine Tafel, S. 23, fünf Bilder), (12) Bethanierfeldzug (3 Tafeln, S. 23-25, 15 Bilder), (13) Marsch nach Lüderitzbucht (4 Tafeln, S. 26-29, 20 Bilder), (14) Heimreise (3 Tafeln, S. 30-32, 19 Bilder), (15) Einzelbilder (2 Tafeln, S. 33-34, zehn Bilder), (16) Der General (eine Tafel, S. 35, acht Bilder).