Quellen zur Kolonialgeschichte 13

Ingrid Tolzmann & Andreas Eckl (Hg.)

Rudolf Steinhausen: Briefe aus Deutsch-Südwestafrika, 1896-1899

Quellen zur Kolonialgeschichte, Band 13

Broschur, 15 x 21 cm, 158 Seiten, Index
Bochum, September 2024
ISBN 978-3-939886-16-7

19,80 EUR

Aus der Einleitung

Über Rudolf Friedrich Ernst Steinhausen, geboren 1872, sind vordergründig nur wenige Informationen bekannt, wiewohl er durchaus Spuren in dem Lande hinterließ, in dem er mit einer kleinen Unterbrechung von 1896 bis 1907 in der „Kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika“ diente, und das ihm auch späterhin offenbar zumindest zeitweise zur Heimat geworden war. „Wenn dies Land hier auch ein Affenland ist, so hat es doch durch die Macht der Gewohnheit viele schöne Seiten. Deutschland mit den kleinen engen Verhältnissen und dem so sehr beschränkten Wirkungskreis wird später schwerlich ein Land meiner Tätigkeiten sein“, so schrieb Steinhausen bereits unter Datum vom 11. November 1897. Noch heute gibt es in Namibia eine Ortschaft namens Steinhausen, gelegen im Bezirk Okorukambe in der Omaheke, im zentralen Osten Namibias. Der Wahlbezirk mit etwas über 10.000 Einwohnern war bis 2013 offiziell unter dem Namen Steinhausen bekannt.

Rudolf Steinhausen trat am 21. Mai 1886 an Bord des Dampfers „Adolf Woermann“ seine Ausreise nach Deutsch-Südwestafrika an, um dort seine erste dreijährige Dienstzeit in der Kaiserlichen Schutztruppe abzuleisten. Im Oktober 1899 verlängerte er seinen Vertrag um weitere drei Jahre, im März 1900 wurde er zum Oberleutnant befördert. Im März 1902 verlängerte er seine Dienstzeit erneut um drei Jahre, schied dann aber frühzeitig Ende März 1903 aus der Schutztruppe aus und wechselte in das Grenadier-Regiment „Prinz Carl von Preußen“. In der Zeit von 23. März 1904 bis zum 31. Oktober 1907 dient Steinhausen während der Kriege gegen Herero und Nama erneut bei der Schutztruppe. In der Folge war Rudolf Steinhausen als Geschäftsführer eines Wollschafzucht-Syndikats beschäftigt, aus dem 1911 in Berlin die Deutsch-Südwestafrikanische Wollzüchterei GmbH hervorging. 

Steinhausen blieb offenbar ledig und kinderlos. Befreundet war er mit der Schwiegermutter von Ingrid Tolzmann, in deren Besitz sich die handschriftlich kopierten und als Buch gebundenen Briefe heute befinden. Verschiedentlich in den Briefen erwähnte Fotografien sind nicht mehr erhalten, ebenso wenig gibt es Kenntnis über weitere schriftliche Aufzeichnungen Steinhausens Zeit und Erlebnisse in Deutsch-Südwestafrika betreffend. Frau Tolzmann besorgte die Transkription der Briefe und hat die aus dem Nachlass rekonstruierbaren personenbezogenen Daten zusammengetragen.

Die hier erstmals publizierten 47 Briefe – Nummer 2 ist nie angekommen, Nummer 34 wurde im Original versehentlich doppelt gezählt – an seine Eltern und Geschwister wurden während seiner ersten Dienstzeit zwischen Mai 1896 und März 1899 geschrieben. Zwischen Grootfontein, Outjo, Omaruru und Otjimbingwe, im zentralen Siedlungsgebiet der Herero, verbrachte Steinhausen einen Großteil seiner ersten Einsatzzeit in Südwestafrika. Unter seinem Kommando wurde 1896 in Grootfontein eine Militärstation, das sogenannte „Alte Fort“, errichtet und mit 25 Soldaten der Schutztruppe besetzt. 1897 war er für viele Monate zum Eisenbahnbaukommando abgestellt und damit beauftragt, für die in Planung befindliche Eisenbahnverbindung von Swakopmund nach Windhoek eine Trasse durch die Namib festzulegen. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, die die Nachhaltigkeit seines Wirkens zeigen.

Vieles in den Briefen Steinhausens erinnert an andere südwestafrikanische Ego-Dokumente aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert – das Selbstverständnis als Kolonist und Soldat der Schutztruppe, die Haltung gegenüber Land und Leuten, der Duktus der Aufschriebe. Immer wieder unverständlich mutet es an, zu sehen, wie unmöglich es den Briefe- und Tagebuchschreibern jener Zeit offenbar war, ihr Tun distanziert, gleichsam von oben zu betrachten und die Absurdität ihres Wirkens zu erkennen, oder doch wenigstens manchmal zu erahnen, wie abwegig es war, Tausende von Kilometern von Deutschland entfernt auf einem fremden Kontinent Militärstationen anzulegen, ohne auch nur überhaupt die notwendigste Grundversorgung der dort stationierten Besatzung sicherstellen, noch ansatzweise ein den Gesundheitsanforderungen entsprechendes Umfeld bieten zu können. So eingenommen von sich selbst und ihrem Tun waren die Figuren in dem Unterfangen Kolonialismus, dass ihnen scheinbar jede Form von Selbstreflektion und Hinterfragung ihres kolonialen Tuns und Wirkens unmöglich geworden war. Die Briefe Steinhausens zeugen stattdessen von der großen Freiheit und Selbständigkeit eines Schutztruppen-Offiziers zu einer Zeit, die geprägt war von einem optimistischen Fortschrittsdenken, das die Zukunftserwartungen für die Kolonie bestimmte. Die Kehrseite dieser „Entwicklung“ des Schutzgebietes, an der Steinhausen an vorderster Front beteiligt war, war ein beständiger Zuwachs von Regulierungen und staatlichen Eingriffen in die Lebenswirklichkeit der Kolonisten, eine Entwicklung, die offenbar Theodor Leutwein angelastet wurde, der seit März 1894 Landeshauptmann und von 1898 bis 1904 Gouverneur der Kolonie war. Glaubt man Steinhausen, so verfügte Leutwein über keinerlei Rückhalt von Seiten der Kolonisten: „Wenn wir nur dieses Ekel loswerden könnten und Lindequist dafür bekämen! In der ganzen Kolonie gibt es auch gar keinen Weißen, der ein gutes Wort über Leutwein spricht. Die Ansiedler sind geradezu empört über ihn“, so Steinhausen in einem Brief vom 21. Dezember 1898.

Anders als in den Jahren unmittelbar vor Beginn der großen Kriege 1904, als das Schutzgebiet als „befriedet“ angesehen wurde, zeigte sich Steinhausen in einem Brief vom 4. Februar 1898 diesbezüglich noch skeptisch: „Den Hereros ist nicht zu trauen, die Buschleute sind die größten Schweinehunde, und die Ovambos sollen rüsten. Dabei erzählt Leutwein ‚zu Haus‘, hier herrscht die größte Ruhe.“ Noch wurden afrikanische Machthaber als politische und militärische Faktoren nicht gänzlich als unbedeutend eingestuft. Die Schilderung Steinhausens’ Besuch bei „meinem Freunde, dem Schuft Kambazembi“, mächtiger Omuhona der Herero am Waterberg und Besitzer von 60.-80.000 Rindern, gibt beredtes Zeugnis vom Verhältnis der deutschen Kolonisten zu den Afrikaner*innen, ein Verhältnis, das geprägt war von einer überaus despektierlichen Wahrnehmung: „Er reichte mir nochmals seine Hand, aber um diese zu erreichen, mußte ich mich erst aus meiner Hockstellung erheben. Ich dachte dabei: ‚warte nur, mein alter Junge, du kommst mir noch.‘ Allen schwarzen Brüdern muß man sich zuerst zutraulich nähern, nachher kann man sie dann tanzen lassen“ (Eintrag unter Datum vom 31. Oktober 1896). Die Briefe von Rudolf Steinhausen aus den frühen Jahren des Schutzgebietes dokumentieren nicht nur die koloniale Entwicklung desselben, sondern gewähren zugleich tiefe Einblicke in den Zeitgeist und die mentale Verfasstheit des Schreibers und mit ihm einer ganzen Schicht. Der heutige Leser weiß um den Fortgang der Geschichte und den sich anschließenden „Tanz“, der vor dem Hintergrund dieser Quelle um einiges verständlicher wird.

 

Aus dem Inhalt

26. Brief

Schakalswater, 5.1.98

Liebe Eltern,

Euch und den Geschwistern vielen Dank für die vielen Briefe; die englische Post erhielt ich noch in Otjimbingwe, die deutsche hier. Ebenso danke ich Euch allen für die angemeldeten reichen Kisten, welche noch in Swakopmund liegen, da der blödsinnige Zoll den Empfang immer noch verzögert.

Hoffentlich habt Ihr Weihnachten und Neujahr recht vergnügt verlebt. Ich war am 24. in Otjimbingwe, wenn auch unfreiwillig. In der Nacht vom 23. zum 24. waren uns nämlich auf der Patt nach hierher unsere Pferde fortgelaufen und zwar nach Otjimbingwe zurück, wohin wir nun per pedes bei großer Hitze marschierten mit allerlei Hindernissen. Am 3. Feiertag ritten wir nochmals die Umgebung von Otjimbingwe ab, leider kann dieser Ort keinen direkten Eisenbahnanschluß erhalten wegen des sehr ungünstigen Geländes; wird die Bahn später weitergebaut, wird der Ort ganz an Bedeutung verlieren. Infolge mehrerer Verzögerungen ritten wir erst am 31., nicht wie gewollt am 30. von Otjimbingwe fort und zwar früh um 5 Uhr und waren abends um 8½ Uhr erst hier in Schakalswater; wir hatten mittags im spärlichen Gras 2½ Std. abgesattelt und nur einmal die Pferde kurz getränkt.

Der Abschluß im alten Jahr war auch noch recht interessant, indem nämlich 2 Wasserstellen, die ich kannte, und auf die ich fest gerechnet hatte, wegen der anhaltenden Trockenheit kein Wasser hatten. Wir waren daher tüchtig verdurstet, als wir hier ankamen. Nachdem wir dann fix mehrere Liter Wasser heruntergespült und etwas gegessen hatten, machte ich den Sylvester-Punsch klar. 2 Flaschen Rotwein, 1 Flasche Rum, 1½ Liter leichten, dünnen Tee und die Mischung war großartig! Punkt 12 Uhr hörten wir von der Station Modderfontein 3 Dynamit Schläge, und das neue Jahr wurde mit einem schönen Glase Punsch nach alter Maahrenstr.- Sitte begrüßt. Dann gingen wir aber gleich zu Bett, da wir von unserem Durst- und Hungerritt und von 96 kilom. sehr müde waren. Unsere Pferde sahen auch am anderen Tage sehr schlecht aus, sie waren zu viel in der starken Hitze geritten worden (diese Zeit ist unsere allerwärmste) und hatten fast gar nichts zu fressen gehabt. Wir waren über Pülsport, Kammikant geritten. Die Eisenbahntrasse geht von hier zwischen Ubib und Pülsport in östlicher Richtung nach Okongawe, welches auf der Hälfte von Otjimbingwe nach Karibib liegt.

Die gute Else wundert sich, daß wir zu dem Trassieren von 450 – 500 km so lange Zeit gebrauchen, das Gelände ist hier aber auch sehr schwierig und wir müssen sehr sehr viel reiten. Die Trasse selbst ist gekennzeichnet durch weiß angestrichene Steinhaufen, die in den Geraden alle 50 m stehen. Bei Kurven muß der Tangenten-Winkel bestimmt werden, auch die baro­metri­schen und Nivelier-Bestimmungen müssen gemacht werden. Zum Schluß wird die Train auf Papier gebracht nebst Beschreibung, wieviel Boden­arbeiten nötig sind, welcher Untergrund, ob schwierige Stellen und welcher Art sie vorhanden sind; ich werde nächstens auch noch Eisenbahner! Ihr seht, es ist ein Haufen Arbeit für uns vorrätig; dazu kommen noch Verpflegungs­sorgen, Angst vor Krankheiten bei Pferden und Ochsen, alles revidieren und Obacht haben und – der Tag ist schnell herum!

Im vorigen Jahr hatte es schon so stark gerechnet, daß der Swakop bereits 4 Wochen lief, auch sonst überall Wasser zu finden war. In diesem Jahr hat es leider noch nicht einmal tüchtig geregnet; kein Wasser und kein Gras ist für uns eine böse Sache! Mein schöner Gummimantel ist noch gar nicht gebraucht worden. Das Fieber ist hier unten noch nicht aufgetreten, daher geht es mir sehr gut. In Swakopmund ist zur Abwechslung eine Typhus­epidemie ausgebrochen, es ist gut, daß ich jetzt nicht mehr dorthin reiten muß. Anstatt der Rinderpest ist durch die sehr starke Hitze und schlechtes Wasser nebst spärlichem Grasfutter die Blutseuche unter den Treckochsen ausge­brochen, nun kommt bald die Pferdesterbe, dann wollen wir weiter sehen.

Der Krieg im Norden ist vorläufig vorüber. Die Swartboys sind zu den Ovambos geflohen. Ich hörte, 2 Reiter wären getötet, 4 verwundet, Haupt­mann von Estorff hätte 2 leichte Armschüsse. Jetzt ist wieder im Osten Trubel. Hoffentlich geht es aber erst los, wenn ich in Windhoek bin, ein bisschen Krach wäre mir eine höchst interessante Abwechslung. Auch der Süden gleicht einem Pulverfaß; hier ist es eine Räuberbande, die teils auf englischem, teils auf deutschem Gebiet lebt, Vieh stiehlt und ein bisschen mordet, dabei aber so schlau ist, daß sie nie gefaßt wird. Die Engländer haben einmal ordentlich Wichse bekommen, wir haben stets ihre Partei ergriffen, natürlich auch Verluste gehabt (den kleinen von Altrock) ich hoffe nun endlich auch etwas zu erleben. Zu Kaiser’s Geburtstag möchten wir gern sicherheitshalber in Windhoek sein; ist dann eine gute Distriktetatstelle frei, nehme ich dieselbe an, man wird doch zu sehr Bandit bei dem ewigen Herumreiten seit dem 28. Juli 97.

Der Bote, der die Post nach Swakopmund bringen soll, hat schon gesattelt und will fort.

Euch allen viele Grüße und viel Glück im neuen Jahr,

Euer Rudolf.