Quellen zur Kolonialgeschichte 12

Jonas Kreienbaum & Marie Muschalek (Hg.)

Die „Herrn Kerle“ in Südwestafrika. Alltagsbeschreibung des Schutztruppenoffiziers
Kurt Axt im Krieg gegen Nama, 1904-1906

Quellen zur Kolonialgeschichte, Band 12

Broschur, 15 x 21 cm, 24 Abbildungen, 211 Seiten
Bochum, Mai 2024
ISBN 978-3-939886-15-0

22,80 EUR

Aus der Einleitung

„Seit dem [sic] ich vollständig in Afrika gelandet bin, habe ich weder Zeit noch Lust gehabt mein Tagebuch weiter zu führen“, notierte Kurt Axt am 25. Juli 1904. Axt war nur Tage zuvor in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika gelandet und als Leutnant der sogenannten ‚Schutztruppe‘ daran beteiligt, einen genozidalen Kolonialkrieg gegen die Volksgruppen der Herero und Nama (1904-1908) zu führen. Und auch wenn er mitunter „weder Zeit noch Lust“ hatte, in sein Tagebuch zu schreiben, führte er über lange Zeiträume seines Aufenthaltes in der Kolonie Buch. Dieser Band enthält das edierte Transkript von Axts Tagebuch aus Südwestafrika sowie dieses einleitende Kapitel. In der Einleitung erläutern wir, warum eine Quellenedition des Tagebuchs wichtig ist, und führen in den Kontext des deutschen Kolonialprojektes und des Krieges in Namibia ein. Wir gehen auf das Genre der Kriegsmemoiren und Tagebücher ein und auf die konkrete Überlieferungsgeschichte dieser Quelle. Wir umreißen den Lebensweg von Kurt Axt und stellen eine Reihe von Themenkomplexen vor, die in seinen Tagebüchern eine prominente Rolle spielen: vom Alltag im Feld, über die Kameradschaft in der ‚Schutztruppe‘, Axt Positionierung im Krieg bis hin zum offenen Rassismus des Protagonisten. Schließlich diskutieren wir aber auch die auffälligen Leerstellen in seinen Berichten.

Warum diese Quellenedition?
Wie alle deutschen Kriegsaufzeichnungen ist auch das Tagebuch von Axt eine Siegergeschichte. Doch das Besondere an diesem ist, dass es von einem Leutnant, das heißt eines Soldaten mittleren Dienstgrades, geschrieben wurde und dass es den deutschen Krieg gegen die Nama im Süden der Kolonie dokumentiert. Viel häufiger waren es die oberen Offiziersränge, die das Kriegsgeschehen nacherzählten, sich zudem größtenteils auf ihre Feldzüge gegen die Herero im Zentrum Deutsch-Südwestafrikas konzentrierten, und die offizielle Berichterstattung des Militärstabs ergänzten. Diese Schilderungen einer kleinen, einflussreichen Gruppe von weißen Militärs prägten nachhaltig das öffentliche Gedächtnis in Deutschland und haben einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die deutsche Geschichtswissenschaft genommen. Zwar ist auch der Nama-Deutsche Krieg inzwischen recht gut historisch erforscht. Die Axt-Tagebücher verändern nicht unsere Kenntnis des Kriegsgeschehens. Aber sie offenbaren eine neue Perspektive und sind daher eine interessante historische Quelle: Zunächst einmal sind sie recht umfassend und werden von anderen Texten und einem Fotoalbum ergänzt. Die Leserin, der Leser bekommt somit einen recht dichten, multimedialen Eindruck von dem, was Kurt Axt in Deutsch Südwestafrika wahrnahm. In seinen Aufschrieben beschreibt Axt den Alltag im Krieg. Er liefert der historisch interessierten Person Einblicke in Vorstellungen von Männlichkeit und Kameradschaft, in Militärroutinen und Gewaltdynamiken im Feld, und in all jene anderen Aspekte, wie zum Beispiel Geselligkeit, Krankheit, Tierpflege, Bürokratie, die auch Teil des Kriegs, wenn nicht der Kampfhandlungen, waren. Schließlich lässt sich anhand der Tagebücher die Entwicklungsgeschichte des Rassismus eines Mannes nachzeichnen, und wie sich dieser durch die Konfrontation mit den gegnerischen Truppen und unter dem Eindruck der eigenen militärischen Beschwerlichkeiten sowie körperlich-geistigen Erschöpfung veränderte.
Mit dieser Quellenedition möchten wir also eine Möglichkeit zur fortdauernden und notwendigen Beschäftigung mit der deutschen kolonialen Vergangenheit und ihrer kriegerischen Gewalt eröffnen. Mit den gelieferten Kontextualisierungen und Begriffserklärungen richtet sie sich besonders an Dozierende und Studierende der Geschichts- und Literaturwissenschaften und eine interessierte, breitere Öffentlichkeit. Doch obgleich die Tagebücher eine eher ungewöhnliche Quelle eines deutschen Kriegsteilnehmers dar-stellen, können sie kein Ersatz für die seltenen schriftlichen Zeugnisse der um ihre Freiheit und ihr Land kämpfenden Herero und Nama sein. Ebenfalls ist es wichtig, dass auch den mündlichen Überlieferungen, die sehr wohl existieren und vermehrt in die Wahrnehmung von Historiker:innen und der Öffentlichkeit dringen, wenngleich stärker in Namibia als in Deutschland, Gehör geschenkt wird.

Aus dem Inhalt

Koes d. 19/12.04.
Liebe Eltern,
Meinen letzten Bericht schloß ich damit, daß ich als Adjutant bei Major von Lengerke nach Bersaba marschierte. Von hier aus wollten wir nach Gibeon gegen die Wittbois marschieren, um von Süden zu drücken: während Deimling von Westen & Norden drücken sollte. Aber unsere Freude nun endlich mal mit genügenden Kräften unsern Feinden zu Leibe gehen zu können, dauerte nicht lange. Marenga hatte Warmbad angegriffen und der Komp[agnie] Koppy schwere Verluste zugefügt. Außerdem wurde in Erfahrung gebracht, daß die Feldschuhträger K’hoop angreifen wollten. Notgedrungen mit schwerem Herzen kehrten wir zurück nach K’hoop.
Die ersten Verstärkungen von Lüderitzbucht – 3. Ers. Komp[agnie] u[nd] 1 Zug Gebirgsbatterie waren über Bethanien nach Bersaba dirigiert worden. Da aber schon Anfangs [sic] Dezember Deimling die Wittbois bei Naris & Rietmund geschlagen hat, wurden mehr Truppen für K’hoop frei. Am 12/12 Vorm[ittags] rückten sie dort ein. Nachmittags rückten wir nach Koes ab zur Züchtigung der Feldschuhträger. Eine Patrouille des H[au]ptm[ann] Kirchner 51 Mann – 1 Geschütz hatte etwa 46 km von [2] Keetmanshoop eine Feldschuhträgerpatrouille von 30 Mann belapst und 5 Mann abgeschossen, die andern waren, wie der Teufel weg. Die Patr[ouille] Kirchner hatte den Auftrag die Wasserverhältnisse zu klären bis Daweb. Darüber mußten wir nach Koes marschieren. Nachdem sie ihren Auftrag erfüllt hatte, kam die Patr[ouille] zurück. Am 12/12 also marschierte das Detachement Lengerke aus 8 Feldkomp[agnie] (92) und 8 Batterie (90 – 3 Geschütze) nach Koes. Sollte unsere Expedition überhaupt Erfolg haben, so mußten wir kollossal schnell marschieren, um Koes zu überfallen. Wir alle glaubten eigentlich, daß wir keinen Erfolg haben würden, sondern daß die Kerle schon längst ausgebüxt wären. Das Resultat war anders. Die Strecke beträgt 152 km, die wir vom 12. Nachm[ittags] – 15. früh = 60 St[unden] geritten sind mit Artillerie auf teilweise sehr schlechten Wegen. Natürlich war es sehr anstrengend, denn wir sind der heißen Jahreszeit wegen fast ausschließlich nur Nachts geritten.
Von Daweb-Koes sind 70 km ohne Wasser. Von da aus konnte man auch immer 2 Fußspuren sehen, die vor uns herlaufen, wir glaubten daher mit Recht, daß dies Spione seien, die unsern Anmarsch melden würden und wir ein Luftstößchen gemacht hätten. Die Stimmung war infolgedessen nicht sehr gehoben, namentlich bei den Offizieren der Artillerie, weil sie ohne Grund ihre Esel abjagen mußten.
Am 15ten früh 5.00 traten wir aus den letzten Bergen vor Koes heraus und mußten wir über eine etwa 5 km Salzpfanne – glatt wie [3] [ein] Tisch – passiren. Es war jetzt die Frage[:] sind sie noch da, oder nicht. Da auf einmal kam der Spitzenführer L[eutnan]t. v. Rheinbaben zurückgeritten und melde¬te, daß noch Vieh im Gras sei, ein Zeichen, daß doch ein Teil der Leute noch da sein mußte. Im schlanken Trabe ging es über die Pfanne, die so hart, wie Asphalt ist. Links von uns hohe Dünen, die Koes umgeben. Nur ein Ein¬schnitt, in dem ein kleiner Bach fließt, gewährt einen Einblick nach Koes. Durch ihn sahen wir nun deutlich, daß Koes noch besetzt war und sahen auch schon Leute mit Gewehren [auf] die Dünen zu laufen. Die Spitze sprengte an die Dünen heran, saß ab und erkletterte sie (etwa 50 m hoch) da schlugen auch schon die ersten Geschosse bei uns ein. Major von Lengerke befahl[,] daß die Artillerie in zwei getrennten Stellungen auffahren sollte auf der Pfanne, ein Geschütz (Schoenberg) sollte die Schützen auf der Düne, die beiden andern sollten die Werft Koes selbst unter Feuer nehmen. Durch das Feuer von Rheinbaben & Schoenberg gezwungen waren die feindlichen Schützen etwa 400 m zurückgegangen und konnte jetzt die ganze Artillerie einen Stellungs-wechsel auf die Dünen vornehmen. Es war schwer[,] aber es gelang; Alles was Hände hatte, faßte in die Speichen. Der Major, ich und alle Offiziere. Kirchner hatte nämlich den Befehl Koes direkt zu beschießen nicht ausführen können, da er von einer andern Düne beschossen worden war und durch sein Feuer [4] sich erst wehren mußte. Inzwischen hatte Wehle mit seiner Kompagnie rechts den Feind umgangen, hatte mit einem Zuge & dem Rest des Zuges Rheinbaben unter Graf Stosch sich entwickelte [sic] und war selbst mit dem Zuge des L[eutnan]t. d. R. Seydel hinter abgetriebenem Vieh hergeritten.
Wunderhübsch sah die Entwicklung des Detachements aus. Die Spitze im Gallop an die Dünen, die Kompagnie im Gallop & über die Pfanne und die Artillerie in Stellung fahrend. Und die Kugeln platschen so schön auf der harten Pfanne.
Die Kerle die Kirchner in der Marschkolonne beschossen hatten, lagen noch immer dort und beschossen jetzt auf 5-600 m die Artillerie. Gegen sie schwenkte jetzt Rheinbaben ein und ging ihnen zu Leibe; hinter einer kl. Anhöhe machte er halt, da er nicht mehr weiter kommen konnte, das Feuer wurde zu heftig. Die Artillerie hatte mittlerweile Koes unter Feuer genommen und dabei sehr schöne Resultate erziehlt [sic]. Die Eingeborenen flüchteten sich immer in die Häuser, die sie aber nach dem zwei Schuß mit Granaten schleunigst wieder verließen[,] worauf ihnen dann einige Schrapnels nachsausten. Namentlich einmal liefen 12-15 Menschen über die Ebene auch einige Weiber dazwischen. Mit einem Schuß lagen 6. Als nun Rheinbaben nicht weiter kam, ließ er durch mich – ich war hingeritten zu ihm, um ihm seine Handpferde nachzubringen – die Artillerie bitten, ihm etwas vorzuarbeiten. Die Kerle hielten sehr standhaft & zähe aus, aber nach 20 Schrapnelschüssen, mußten sie doch [5] weichen, Rheinbaben ging ihnen nun energisch hinterher. Zwei Mann von ihm wurden verwundet, ihm der Kolben des Gewehrs abgeschossen. Da von rechts noch lebhaftes Gewehrfeuer hörbar war, schickte mich Lengerke zur Komp[agnie] Wehle [,] um die Verbindung wieder herzustellen. Im Ernstfalle ist das doch eine verflucht andere Sache, als im Manöver. Im Übrigen ist einem das Pfeifen von Geschossen sehr bald ganz gleichgültig.
Während ich weg war, nahm Lengerke alle Leute von der Artillerie und ging selbst mit diesen unter Schoenberg & Barack gegen den Ort Koes vor und vertrieb die noch in den Häusern & Pontoks steckenden Eingeborenen. Hierbei wurde heftig geschossen; die Kerle schoßen, obgleich schwer verwundet noch auf 10 Schritt. Hierbei fielen Kanonier Schmeißer & schwer verwundet wurde Kanonier Groninger , der Nachts seiner Verwundung erlag.
Jetzt flüchteten die Kerle nach allen Richtungen auseinander. Nach einer 2-3 km weiten Verfolgung zu Fuß kamen Barack & Schoenberg zurück. Die Verfolgung weiter zu treiben war erfolglos, da einige der Kerle in einem Revier Pferde bereit hielten und damit das Weite suchten.
Ich war während der Zeit zurück gekommen und meldete, wo allem Anschein die 8. Komp[agnie] im Gefecht läge. Zu Stosch hinzureiten war mir nicht möglich gewesen, da mir 1) keiner sagen konnte[,] wo er bestimmt läge[,] und 2) hörte ich ab-[6]solut keiner [sic] Feuer und konnte auch keine Schützen entdecken. Über die Fläche konnte ich nicht reiten, da ich andauernd heftiges Feuer bekam. Tatsächlich hatte Stosch auch seine Front vollständig verändert und hätte ich durch den Feind reiten müssen, wenn ich hätte zu Stosch wollen.
Kurze Zeit darauf, wie ich dem Major dieses gemeldet hatte, hörten wir sehr starkes Gewehrfeuer von der 8. Komp[agnie]. Stosch hatte, nachdem er 4 ½ St[unden] im Feuergefecht gelegen hatte und den Gegner (Damaras) absolut nicht zum Weichen bekommen hatte, schließlich den Sturm mit aufge¬pflanzten [sic] Seitengewehr gemacht. Hierbei fielen Gefr[eiter] Kemmler & Köhn. Auch hier schoßen die Kerle obgleich verwundet bis auf den letzten Schritt. Als sie ausrückten, liefen sie der Abteilung Schoenberg in die Finger, so daß keiner entkam. 15 Mann lagen dicht nebeneinander. Schoenberg war auf das Feuer losmarschiert und gerade zur rechten Zeit gekommen.
Um 11 Morg[ens] fielen die letzten Schüsse. Es war ein schöner Sieg errun¬gen. Unsere Freude war groß, jedoch die Abspannung sehr groß. Die Nacht geritten, 20 St[unden] kein Wasser und 6 St[unden] Gefecht.
6.00 Ab[en]ds ging ein Eilreiter ab nach K’hoop und hatte ich noch sehr viel zu thun.
Etwa 35 Tote wurden an diesem Tage [7] gefunden mit ihren Gewehren, die fast alle Hinterlader waren & englisches Fabrikat.
Wir hatten 4 Mann tot, Groeninger starb noch dieselbe Nacht, und 3 Mann verwundet. An eine sofortige Verfolgung war der Ermattung der Pferde wegen nicht möglich [sic]. Sie wurde am nächsten Tag durch eine Abteilung von 17 Mann unter Feldw[ebel] Krege, der das Gelände dort genau kannte, aufgenommen. Diese hatte noch zwei Gefechte, wobei der Feind 4 Tote ließ. Sonst wurde nur mit kleinen Patrouillen das umliegende Gelände abgesucht. Im Ganzen hatte der Feind Verlust von 43 Toten mit 45 Gewehren; es wurden ihm abgetrieben 500 St[ü]ck Großvieh, 3000 St[ü]ck Kleinvieh (etwa 130000 M) 50 Pferde & Esel. Ferner hinterließ er die vollständig eingerichtete Werft[,] mehrere Ochsenwagen & Karren, eine Eselkarre. Was wir nicht gebrauchen oder mitnehmen können, wird zerstört, denn gerade der Verlust der Kochtöpfe, Decken etc. ist ihnen kollossal schmerzlich, weil sie dieses nicht ersetzen können.
Die Nacht nach dem Gefecht schliefen wir ungewiegt , 5 Off[iziere] in einer Stube. Den nächsten Tag kam die Freude erst eigentlich zum Ausdruck, nachdem der Körper sich wieder etwas erholt hatte.
Für mich gab es viel zu thun. Gefechtsberichte, Verlustlisten etc. zu schreiben. Zur Rüste kam ich nicht viel.
[8] Am 18/12 Morg[ens] kam die Abteilung Krege zurück und meldete den Abmarsch des Feindes nach der Wüste Kalahari. Dahin natürlich folgten wir ihm nicht, denn dort ist kein Wasser. Nach dem Regen liegen dort Schamas, ein[e] Art Kürbis, die sehr saftig sind und Menschen & Tieren einen Ersatz für Wasser bieten. Jetzt ist aber noch nichts dort zu machen. Daher ist die wirksamste Strafe für die Eingeborenen, wenn man längst [sic] der Grenze der Kalahari die Wasserstellen besetzt, dann verhungert und verdurstet ihnen das Vieh dergl[eichen] sie selbst.

Link zum Download:

Kriegskarte. Kurt Axt. Stationen, Marschrouten, Gefechte