Matthias Häussler & Andreas Eckl
Lothar von Trotha:
Tagebuch aus Deutsch-Südwestafrika, 1904-1905
Quellen zur Kolonialgeschichte, Band 11
Inhaltsgleich zur Ausgabe de Gruyter
Broschur, 15 x 21 cm, 391 Seiten, Anhänge, Itinerarien, Literaturverzeichnis, Index
Bochum, Februar 2024
ISBN 978-3-939886-14-3
39,90 EUR
Aus der Einleitung
Nach Peter Boerner stellt das Tagebuch einen fortlaufenden, meist von Tag zu Tag geschriebenen Bericht über Dinge dar, die im Laufe jedes einzelnen Tages vorgefallen sind. Lothar von Trotha führte während seines Einsatzes in „Deutsch-Südwestafrika“ (DSWA) – mit sehr wenigen Ausnahmen – täglich Tagebuch, und zwar auch dann noch, wenn es aus seiner Sicht offenbar nichts zu berichten gab und die Einträge auf das betreffende Kalenderdatum sowie ein lapidares „Nichts Besonderes“ beschränkt blieben. Tagebüchern, zumindest den „ehrlichen“, liegt keine ursprüngliche, einheitliche Werkidee zugrunde wie Autobiographien, die auf ein abgeschlossenes Leben oder einen abgeschlossenen Lebensabschnitt zurückblicken und sich darauf – nolens volens – einen bestimmten Reim zu machen suchen; abhängig von den inneren und äußeren Erlebnissen, die der jeweilige Tag den Diarist:innen bringt, wachsen deren Aufzeicnungen Tag für Tag gleichsam schubweise und in eine offene Zukunft hinein an. Das Regelmäßige und Kontinuierliche dieser Aufzeichnungen stellt einen Sinnzusammenhang her, der es erst erlaubt, von dem Tagebuch zu sprechen, auch wenn wir es tatsächlich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Textträger zu tun haben, die je nach Umständen beschrieben wurden und deren Eintragungen sich nur mit einigem editorischen Aufwand in die Reihenfolge bringen lassen, in der sie ursprünglich wohl auch entstanden sind. Der Text, den die vorliegende Edition präsentiert, differiert also nicht unerheblich von der Struktur der Aufzeichnungen, wie sie im Nachlass Lothar von Trothas erhalten sind, und schon deswegen sind einige Erläuterungen vorab am Platz.
Aus dem Inhalt
20. Mai 1904
Die 3. Ausreise in ein fernes Land und in eine ungewisse Zukunft. Heute ging mir endlich die Ordre zu, wonach ich am 17. Mai zum Commandeur der Schutztruppe in D.S.W.A. ernannt bin. Die Befugnisse sind ungefähr dieselben, wie sie dem Führer des Chinesischen Expeditions-Corps gegeben waren. Eine directe Unterstellung des Gouvernements findet sich nicht darin vor. Die Entscheidung darüber herbeizuführen soll bei Betreten der Colonie meines ersten Befehls Sorge sein.
Meine Abreise in Trier war überwältigend. Mein armer Hellmuth war tapfer genug. Der 19. in Berlin war eine Hetzjagd von früh bis spät. Am 20. früh 9 Uhr verließ ich Berlin. Quast und zwei meiner alten Feldwebel Muhs und Ziegler waren auf der Bahn. Ein Generalarzt Dr. Meyer meldete sich ebenfalls dort um mir als Delegierter des roten Kreuzes Vortrag über die Verhältnisse in S.W.A. zu halten. Er fuhr in dem für mich reservierten Coupé bis Wittenberge
mit. In Hamburg wurde ich am Berliner Bahnhof vom Stabe und Herrn Woermann empfangen. Fahrt im Auto zum Petersen Quai. Es war bitterkalt. Die beiden Schiffe für den heutigen Transport gechartert, Eleonore Woermann und Montevideo lagen längsseit. Auf einem anderen großes Frühstück von der Linie, ausgezeichnet. Dann Besichtigung der Montevideo mit den Pferden. Sie ist solid und practisch eingerichtet. Die Pferde (Preußen) sind klein und edel. Führer Graf Königsmark Garde-Husar. Die Eleonore ist ein gut eingerichtetes Schiff. Wie es als Seeschiff ist, muß sich zeigen. Bis jetzt 12 Uhr Nachts liegen wir noch in Cuxhaven und nehmen Munition an Bord. Warum wir das nicht in Hamburg machen konnten, ist mich ne Prätzel. Um 8 Uhr ging die Montevideo an uns vorüber. Sie hat 4-5 Stunden Vorsprung. Das Schiff füllte sich nach und nach mit Menschen. Schnittchen Goltz der Kommandierende mit Frau, Slytermann m[it] Frau, Groeben m[it] Fr[au], Albrecht 75, Reimers, Matthien 9. Jäger, Zitzewitz mit Agnes, seiner Schwester und einer Gräfin ?
Um 6 Uhr machten wir los und fuhren bis Cuxhaven. Telegramme und Briefe zahllos. Zum eitel werden habe ich augenscheinlich keine Anlage. Vom Kaiser nichts! Warum? Nicht verständlich. Die Truppen sammelten sich auf dem Hinterdeck. Als das Schiff sich in Bewegung setzte, das übliche Hoch auf S.M. Die Musiker spielten, die Menschen am Ufer riefen Hurrah [sic], die Tücher wehten, Adieu auf Wiedersehen! Es machte eigentlich auf mich keinen Eindruck mehr. Ein schönes Bouquet roter Rosen mit einer Karte „Viel Glück“ von unbekannter Hand!
10.VIII.
Im Wagen geschlafen, sehr gut, wärmer, als im Zelt. Zum ersten Mal elektrische Funken auf dem Platz, aber in Masse. Ob es mit der durch Arbeiten des Funkentelegr[aphen] durch Electrizität [sic] geschwängerten Luft zusammenhängt? Um 615 V. mit dem ganzen Stab ohne Thilo, und Müller u[nd] Reitzenstein zur Erkundung bis an das Hamakari Revier . Ich versprach mir gleich nichts von dieser Massenoperation, setzte sie aber in Scene [sic] fest erfüllt von dem Gedanken, daß etwas passieren würde. Und so war es auch. Wir waren kaum in der Nähe des Riviers angelangt und orientierten uns oder versuchten es von Termitenhügeln und Bäumen, als Salzmann der etwas vorgeritten war, mit 3 Schuß im Pferde und 1 im Knöchel zurückkam. Ich ritt mit Quade, Beyer und Lettow langsam zurück, schickte dann Beyer schneller zum Lager, um die Eselkarre und berittene Begleitung aus dem Lager mobil zu machen und war sehr ärgerlich. Es hätte leicht zu einem 2. Ovikokorero führen können. Um 1045 war alles im Lager, Salzmann zu Pferde mit verbundenem Knöchel. Er liegt in einem schnell hergerichteten Zelt vorläufig. Der Schuß ist doch wohl schwerer, als wie es aussieht. Der Schimmel hatte 3 Schuß in Schulter, Keule und Bauch und hat ihn erst etwa 500 ͯ im Gallopp [sic] und dann noch 2 Kilom[eter] im Trabe zurückgebracht; erst dann hat er versagt, und wurde erschossen. (120 31⁰) leichter Wind N.O. Salzmann liegt in einem Zelt, Dannauer hat das Nötige mit seinen vortrefflichen Gespannen gebracht und Wiemann und Schian haben ihn regelrecht verbunden. Der Fuß wird voraussichtlich erhalten bleiben. Sonst ist vorläufig alles still. Volkmann hat geblitzt, daß er in der Nacht mit 40 Mann und der Blitzlampe auf den Waterberg gehen wird. Estorff funkt, daß er am Nachmittag Onjoka , Heyde daß er Ombuje Mpiro erreichen wird. Wie weit Deimling heran ist, wird wohl in der Nacht eingehen. Der Draht zwischen Ombuatjipiro an Erindi Ongoaere ist an 5 Stellen durchschnitten. 1 Unt. reitet zurück, um ihn zu flicken. Auf einmal bekommt er Feuer von 5 Mann in Cordanzügen. Er kommt noch aufs Pferd und zurück. Die Verantwortung für mich ist doch eine große! Aber wir marschieren dem Orion entgegen and I trust my star. Morgen 245 Abmarsch. (100 +10⁰)
11.VIII.
Schilderung des Tages unmöglich vor der Hand. Schweres langwieriges Buschgefecht bei Hamakari. Schwierigkeiten traten durch Nichterscheinen der Colonne Heyde ein. Verluste im Verhältniß [sic] zur Kleinheit der Truppe ziemlich groß 2 Offzr 11 Mannsch[aften] tot, 3 Off […] M[ann-schaften] verw[undet]. Unter den Toten leider Hauptmann Gansser u[nd] Leplow 11. Comp. die am meisten gelitten. Mühlenfels sehr gut, Heyde augenscheinlich unbrauchbar. Nach spät eingegangenem Funkentelegr[amm] hat er eine entscheidende Niederlage erlitten und ist zurückgegangen. Salzer hatte ich während des Gefechts zu ihm geschickt und er hat ihn auch gefunden. Der schwierigste Moment war, als ich erkannte, daß auf Heyde’s Herankommen nicht zu rechnen sei, und wir uns die Wasserstelle für die Nacht erst noch erkämpfen mußten. Das Nachführen der Staffeln im heftigen Feuer aus dem Busch war ein übler Moment. Eine Zeit lang war ich in dem Glauben, daß diese Abt[eilung] und das Hauptq[uartier] verloren sei. Am Abend bekam ich aber durch den kleinen energischen Auer vom Waterberg die Nachricht, daß Deimling mit verhältnißmäßig [sic] geringen Verlusten bis Waterberg gekommen und am 12. auf Hamakari marschieren werde. Estorff hat Otjosongombe genommen und steht vor Waterberg St[ation] östlich. Verluste tot 1 Off / Mann verw[undet] 1 Offizier 10 M. Am Waterberg ist Situation noch nicht geklärt. Heydes Verluste noch nicht bekannt an Menschen hat aber alle Pferde der Inf[anterie] verloren. Die Nacht war schrecklich. Ich wieder, wie in O.A. bei Hassan der einzige Wachende. Jeden Augenblick ein Angriff zu erwarten und alles schläft.
12.VIII.
Morgen bis 7 Uhr ruhig. 730 kommt Meldung von Heyde, Lekow, Arnim tot, Osterhaus verwundet. Mannschaften 7 tot 12 verw[undet] 2 vermißt. Vor der Batterie Stahl liegen 17 tote Herero mit Waffen und Munition. […]